Sprengversuche an Flugzeugunterständen U43 im 1945

Mitte 1945 machte die Armee Versuche, wie die Betonunterstände des Typs U43 auf den Flugplätzen besser gegen Explosionsschäden geschützt werden könnten. In Raron wurden ein Unterstand und zwei Flugzeuge «bombardiert».

Die wachsende Luftwaffe der Schweizer Armee (damals noch als Flugwaffe bezeichnet) muss im Aktivdienst ihre wertvollen Flugzeuge schützen. Klassiker auf den Flugplätzen wurde der Unterstand U43, ausgeführt als relativ einfache armierte Betonkonstruktion und nach vorn offen. Wichtige Frage war natürlich, ob die Unterstände auch etwas nützen – und wie hoch die Schutzwirkung von allfälligen Wällen vor den offenen Unterständen gegen Druckwellen und Splitter von Explosionen ist. Auf dem Reduitflugplatz Raron werden deshalb im Mai 1945 von der Direktion für Militärflugplätze und der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt EMPA mehrere Testserien durchgeführt.

Die Vorbereitungen

Gemäss Unterlagen aus dem Bundesarchiv sollte so die Dimensionierung von Schutzwällen herausgefunden werden. Wie gewohnt, wurden diese Tests akribisch vorbereitet.

  • Ein eigenes Netz an Beobachterposten und Telefonverbindungen wurde aufgebaut.
  • Beispielsweise wurden genaue Sprengzeiten festgelegt: «Mit Rücksicht auf die nahe gelegenen Bahnlinien der S.B.B. und B.L.S. müssen bei der Sprengung von USA-Bomben und grösseren freien Ladungen die nachstehenden Zeiten genauestens eingehalten werden» wird festgehalten. Grund dafür war die Möglichkeit, dass eventuell „Fahrleitungsdrähte heruntergerissen werden könnten und es vermieden werden muss, dass dadurch Schnellzüge aufgehalten werden». Für die Sprengungen vom 14., 15. und 16.5. 1945 ist die Gegend von Raron, Bienen, Hof Lonza (an der Strasse nach Visp), Albenried, Tartig incl. Durchgangsstrasse Visp-Turtmann zu sperren. Von der S.B.B. wird auf dem Bahnhof Raron ein Reparaturtrupp stationiert und ein weiterer Reparaturtrupp in Visp auf Pikett gehalten. Die Streckenwärter müssen sich zu allen genannten Zeiten in Deckung halten. Von der B.L.S. wird ein Reparaturtrupp in Hohtenn bereit gestellt.
  • Durch das Kdo. Fl.R.S.1 muss der Sanitätsdienst organisiert werden in Form eines Sanitätspostens im Dorf St. German (Az., 1 San. Sdt. mit Tragbare und San. Tasche, mit einem Pikettauto.
  • Sämtliche Schadenmeldungcn sind sofort auf Tel. Nr. Raron 7.11.52 zu melden und dort von der Oberleitung der Sprengversuche aufzunehmen. Die Meldung kann auch an jeden Beobachtungsposten erfolgen, der für die Weiterleitung besorgt zu sein hat.

Der Versuch

Insgesamt wurden neun verschiedene Szenarien vorbereitet:

  • Serie 1: Sprengung von 4 kg Trotyl auf der Höhe der Wall-Krone in einigem Abstand vor dem Wall und Messungen vor und hinter dem Wall.
  • Serie 2: Sprengung von 9,6 kg Trisol auf der Höhe der Wallkrone und 50 cm über dem Boden mit Messungen vor und hinter dem Wall.
  • Serie 3: Sprengung von 19,2 kg Trisol vor dem Wall, ca. 50 cm über dem Boden und Messungen vor und hinter dem Wall.
  • Serie 4: Sprengung von 40 kg Trisol hinter dem Unterstand am Fusse der Böschung mit Messungen auf und in dem Unterstand.
  • Serie 5: Sprengung von 48 kg Trisol neben dem Unterstand am Fusse der Böschung und Messungen auf und im Unterstand und in der benachbarten Solitaire.
  • Serie 6: Sprengung von 19,2 kg Trisol innerhalb des Schutzwalles in verschiedenen Abständen vom Unterstand mit Messungen vor und im Unterstand.
  • Serie 7: Sprengung von 125 kg Trisol und einer 500 Ibs U.S.A.-Fliegerbombe über dem Boden vor dem Schutzwall mit Messungen hinter dem Wall und im Unterstand.
  • Serie 8: Sprengung einer 500 Ibs U.S.A. Fliegerbombe über dem Boden vor dem Schutzwall seitlich mit Aufnahmen der Splitterdichten und Messungen in den beiden Solitairen und im Unterstand.
  • Serie 9: Sprengung von 48 kg Trisol über dem Boden in 15 und 20 m Abstand von den Solitairen und Messungen in den Solitaire.

Die Ergebnisse in Kurzform

Bezüglich der Wirkung des Schutzwalles gegen Druckstösse zeigen die Versuche in Raron, dass hinter demselben erhebliche Druckabminderungen eintreten. Mit zunehmender Entfernung sinkt die Wirkung und verschwindet schliesslich für Detonationen im Abstand von mehr als 30 m vor dem Unterstand, wobei aber die Druckwirkungen im Unterstand ohnehin sehr klein bleiben.

Die Versuche haben gezeigt, dass durch eine 500 lbs-Bombe oder 125 kg Trisol in 8 m Abstand vor dem Wall dieser frontal weitgehend zerstört und hinten auf ca. 6 bis 8 m teilweise eingedrückt wird, womit nahezu sie Bruchgrenze erreicht wurde. Die festgestellte Bruchsicherheit dürfte für derartige Konstruktionen genügen.

Die allgemeine Formgebung der Schutzkonstruktion hat sich als zweckmässig erwiesen. An Stelle der ausgeführten Holzkonstruktion, welche der Fäulnis unterworfen ist, könnte zweckmässig eine Konstruktion aus Betonbrettern und -Pfosten in Betracht gezogen werden. Als Füllmaterial wird vorteilhaft bindiges Material verwendet ev. mit Bepflanzung der Krone als Tarnung.

Die Sprengung einer 500 Ibs USA Bombe ergab, umgerechnet auf einen konstanten Abstand von 15 m, eine Splitterdichte von 70 bis 115 Splitter pro Quadratmeter. Ohne Schutzwall wird diese Splittereichte auch bei grösserem Abstand der Bombenexplosion vor dem Unterstand vollständige Demolierung der untergebrachten Flugzeuge bedingen. In Anbetracht der grossen Reichweite der Splitter ist die Gefährdung der Maschinen bei einem Flächenbombardement durch Splitte Wirkung allgemein sehr gross, wogegen der Wall gegen die Splitte Wirkung von Treffern ausserhalb desselben fast vollständigen Schutz bietet.

Ein Ersatz des Walles durch ein Tor vor dem Unterstand mit gleichwertiger Schutzwirkung sowohl gegen Druckstoss und Splitter bei gleichzeitiger genügender Alarmbereitschaft ist technisch sehr schwer zu verwirklichen und wäre finanziell kaum tragbar. Soweit für die Friedenszeit ein Abschluss der Unterstände erwünscht ist, kann zusätzlich zum Schutzwall eine leichte Konstruktion aus Holz oder Blech erstellt werden (später wurden tatsächlich bei vielen U43-Unterständen leichte seitlich verschiebbare Blechtore montiert. Red.).

Das Verhalten des Unterstandes selbst gegen Druckstosswirkungen ist dank der gewählten Form und Konstruktion sehr gut. Volltreffersicherheit gegen Bomben wurde nicht verlangt. Durch die Tierversuche ist gezeigt worden, dass bei Druckstössen von 0,5 bis 1 kg/cm2 Trommelfellperforationen auftreten. Nach anderweitigen Versuchen gilt dies angenähert auch für Menschen. Ferner geht aus den Versuchen hervor, dass bei gleicher Amplitude stark reflektierte Druckstösse mit längerer Stossdauer wesentlich schädlicher wirken.

Was der Chef dazu sagt

Der Direktor der Militärflugplätze, Oberstbrigadier Walter Burkhardt, zog im September eine Bilanz der Versuche und analysierte allfällige Massnahmen aus den Resultaten.

«Die Sprengungen in Raron haben gezeigt, dass eine Sicherung der Einfahrtsöffnungen zu den Betongewölben gegen Explosionsdruck und Splitter für kleine Bombengewichte möglich ist. Die Sicherungsmassnahmen erfordern aber hiefür schon umfangreiche Konstruktionen, welche mit grossen finanziellen Aufwendungen verbunden sind.»

Die Sicherung könne erreicht werden durch den Bau eines Tores oder Schutzwalles:

a) Für Bombengewichte bis 50 kg mit normalem Sprengstoff können die Einfahrtsöffnungen durch Tore gesichert werden, wie diese bei unsern Stollen, z.B. in Alpnach, gebaut wurden. Diese Tore sind aber schon hier beschränkt manöverierbar. Grössere Bombengewichte erfordern bedeutend schwerere Konstruktionen. Eine Torkonstruktion, welche dagegen der Wirkung von 250 kg-Bomben als Nahtreffer (Distanz ca. 25 bis 50 m) widersteht, ist konstruktiv – unter Berücksichtigung des Verwendungszweckes – bautechnisch nicht mehr lösbar.

b) Der Schutzwall, wie er in Raron für die Versuchszwecke gebaut wurde, hat sich einigermassen bewährt und es wird damit ein Schutz der Einfahrtsöffnung zum Betongewölbe, besonders gegen Splitter, erreicht, auch von Nahtreffern im Gewichte von 250 kg-Bomben, die ausserhalb des Walles zur Explosion kommen. Ein Vorteil des Walles ist dabei, dass der Explosionsdruck gegen das Gewölbe zu rapid abnimmt und somit Deformationen durch Druckstoss an parkierten Flugzeugen relativ gut begegnet wird.

Der Schutzwall kann aber niemals voll befriedigen, da er trotz der hohen Baukosten keinen vermehrten Schutz der Flugzeuge gegen Bordwaffenbeschuss ergibt, ausserordentlich gut sichtbar ist und zudem den Zurollweg zum Unterstand beschränkt und erschwert. Ferner bietet er nur Splitterschutz, solange die Splitterflugbahn tiefer als die Wallkrone liegt. Diese ist aber aus statischen Gründen, mit Rücksicht auf den Explosionsdruck, nicht beliebig hoch wählbar.

Die Bauzeit für einen Wall (auch in Holzbohlen) ist verhältnismässig lang und sofern diese Schutzkonstruktion zur Diskussion gezogen werden sollte, müssten Baumaterialien ins Auge gefasst werden, auf welche die Witterung keinen Einfluss hat, da diese Wälle nicht erst im Bedarfsfalle gebaut werden können.

Die Kosten der Schutzwälle sind demnach hoch, abgesehen davon, dass auf verschiedenen Plätzen die Stellung der Unterstände in Bezug auf die Piste den Bau eines Walles teilweise nicht zulässt. Je nach den örtlichen Verhältnissen variieren die Erstellungskosten stark und es müsste pro Anlage immerhin mit ca. Fr. 25’000.- gerechnet werden.

Die Sprengversuche ergaben auch Resultate über die in den Unterständen zu erwartende Sogwirkung. Es zeigte sich dabei, dass der Sog auf die im Unterstand parkierten Flugzeuge nicht primär schädigend wirkt. Die Druckwelle ist bedeutend grösser als der Sog und beide Effekte vollziehen sich in einer äusserst kurzen Zeiteinheit. Demnach wird es nicht notwendig, in die Rückwand der Unterstände Löcher für den Luftausgleich einzubauen.

Nach unserer Auffassung sollten daher die Betongewölbe im heutigen Zustand belassen werden.

Gemäss dem Bericht der E.M.P.A. ist die Konstruktion der Gewölbe, mit Rücksicht auf die ursprünglich zu Grunde gelegten Verwendungszwecke, einwandfrei, d.h. sie schützt dreiseitig in jeder Beziehung gegen Bordwaffenbeschuss und die Versuche haben auch gezeigt, dass Nahtreffer von 250 kg-Bomben an der Aufschüttung auf der Rückseite und auf beiden Seiten kaum schädigende Wirkungen auf irn Gewölbe parkierte Flugzeuge ausüben können.

Sofern in der Zukunft weitere Unterkunft für Flugzeuge auf den Stützpunkten geschaffen werden soll, so geht aus den Versuchen hervor, dass Felsunterkunft in erster Linie angestrebt werden muss.

Da diese Betonunterstände für das Einstellen von Flugzeugen, Motorfahrzeugen und diversem anderem Material auf unsern Flugplätzen von grösster Wichtigkeit sind, verfolgen wir das Problem eines Abschlusses der Einfahrtsöffnung, ohne Rücksicht auf Bombenwirkung, weiter. Wir haben bei je einem Unterstand in Buochs und Meiringen ein in diesem Sinne entsprechendes Versuchstor im Bau. Für die Festlegung der endgültigen Konstruktion bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Witterungseinflüsse des Winters auswirken, besonders in Bezug auf die Manvüverierfähigkeit der Tore. Die kreissegmentförmige Öffnung erforderte anormale Torführungen, über welche die Erfahrungen erst gesammelt werden müssen.

Wir hatten auch mit der E.M.P.A. noch speziell Fühlung genommen, um selbst bei dieser Konstruktion immerhin eine Sicherung gegen leichte Bombensplitter durch Aufdoppelung von Stahlblechen auf die Holzverschalung zu erreichen. Die E.M.P.A. empfiehlt uns dies jedoch nicht, da einerseits der damit erzielte Schutz nur gering ist, anderseits aber die Torgewichte übermässig zunehmen. Sobald wir über diese letztere Torkonstruktionsart endgültige Unterlagen und Erfahrungen haben, werden wir Ihnen einen Antrag unterbreiten.»

Quelle: E27#1000-721#16605 – Sprengversuche in Raron betr. Wirkung von Explosionswellen von USA-Bomben auf Flugzeug-Betonunterstände – 1945

1: Ansicht des Unterstandes mit dem Schutzwall.

2: Detailansicht des Aufbaus des Schutzwalles.

3: Aufstellen einer amerikanischen 250 kg-Fliegerbombe mit Sandsackschutz gegen Splitter.

4: Aufstellen der 125 kg Trisol-Sprengladung

5: Unterstand U43 mit zwei Flugzeugen des Typs Dewoitine D26.

6: Zustand des Schutzwalles (aussen) nach den Testserien.

7: Zerstörung des Schutzwalles durch die 250 kg-Fliegerbombe.

8: Schäden an einem der eingestellten Flugzeuge des Typs Dewoitine D26.

9: Plan der Versuchssituation auf dem Flugplatz Raron.