Wenn der Gotthard-Tunnel gewässert würde…
Der Gotthard-Bahntunnel wurde am 22. Mai 1882 eingeweiht. Die neue Verbindung durch die Alpen hatte grosse Folgen, auch für die Schweizer Armee. Die Tunnelsicherung erhielt grosse Bedeutung, verschiedene Varianten und Ideen wurden in den Folgejahren geprüft.
1909 klärte die Abteilung für Genie mit der Kreisdirektion V im Auftrag der Generalstabsabteilung ab, ob und wie das Nordportal des Bahntunnels in Göschenen unter Wasser gesetzt werden könnte. Der Ingenieur Scharfe erklärte sich bereit, nach einer Besichtigung vor Ort ein entsprechendes Projekt auszuarbeiten.
Aus den Projektunterlagen geht folgende Einschätzung hervor: «Die Unterwassersetzung des Gotthardtunnels bei Göschenen kann nur den Zweck haben, ein absolutes Hindernis zu erzeugen, das jedes Vordringen in Tunnel verhindert, aber auch rasch beseitigt werden kann, um den Tunnel wiederum man benutzbar zu machen. Um als absolutes Hindernis zu dienen, muss die Aufstauung des Wassers bis zum Scheitel des Tunnelgewölbes reichen oder doch wenigstens nahe an diesen heran, damit eine Zerstörung der Stauvorrichtung mit Hilfe von Schiffen oder Flössen verunmöglicht wird. Sollte dagegen die Unterwassersetzung nur gegen Überraschung sichern, so genügt eine Wassertiefe von 1,5 bis 2 Metern vollkommen.»
Plan der Aufstauung durch eine Schleusenanlage beim Nordportal. Quelle: Bundesarchiv
Eine Überraschung war aber wohl eher nebensächlich, da schliesslich am Südportal Verteidigungsanlagen vorhanden waren, die ein Gegner zuerst überwinden musste – man wäre in Göschenen also vorgewarnt.
«Die projektierte Stauvorrichtung sieht deshalb einen vollständigen Abschluss des Tunnelprofiles vor. Ein solcher lässt sich entweder durch eine Schleuse oder durch Tore bewirken. Eine Schleuse hat den Vorteil, dass sie ganz aus dem Tunnel herausgezogen werden kann, wodurch die Kontrolle und der Unterhalt der ganzen Anlage erleichtert ist und alle beweglichen Teile den schädlichen Einflüssen der Verbrennungsgase und der Feuchtigkeit im Tunnel entzogen sind. Eine Toranlage käme vielleicht etwas billiger zu stehen, doch könnten nur hölzerne Tore mit bronzenen Beschlägen in Frage kommen und das Schliessen der Tore wäre umständlicher als das Herablassen der Schleuse, wodurch auch eine periodische Prüfung der Anlage erschwert würde.
Plan einer Schleusenanlage beim Nordportal. Quelle: Bundesarchiv
Die Kosten der Schleusenanlage wurde mit 92’116 Franken berechnet. Ob diese Kosten gerechtfertigt wären, stellte die Genie-Abteilung aber in Frage, denn eine Unterwassersetzung könne eine vollständige Zerstörung des Tunnel im Ernstfall (der Feind hat das Südportal in der Hand) nicht ersetzen. Ein Aufstau im Tunnel mache eigentlich nur Sinn, um allenfalls einen Gegner so lange im Tunnel aufzuhalten, bis nordwärts davon die Sprengung erfolgen würde.»
Die Gotthardbahn ihrerseits machte der Armee den Vorschlag, eine Stauanlage bei Kilometer 70,803 zu errichten, da so das Wasser der Turbine genutzt werden könnte, die die Tunnelventilation antreibt (eine Durchleitung der Ventilationsanlage kreuzte in der Nähe den Bahntunnel). Aufgrund des Gefälles wäre so eine Unterwassersetzung möglich (rund ein Kilometer Strecke wäre nötig, um bis zum Scheitel des Gewölbes zu füllen). Benötigt würden ca. 21’900 m3 Wasser und die Füllungszeit würde rund sechs Stunden dauern.
Der Auftrag erfolgte an das Festungsbüro, die Idee weiter zu studieren. Was wohl daraus wurde?
Quelle: E27#1000/721#17557* – Projekt für die Unterwassersetzung des Gotthardtunnels bei Göschenen – 1.1.1909 – 31.12.1909
Auf dem Laufenden sein, welche Militärgeschichte- und Festungsbücher im
Verlag HS-Publikationen erscheinen? Abonniere hier den Newsletter!